Friedhof "Im Saal"

Die Ingelheimer jüdschen Friedhöfe

Die Juden, die während der letzten 300 Jahre in Ingelheim gelebt haben und die durch die nationalsozialistische Diktatur vertrieben, enteignet und ermordet wurden, gehörten zu den Landjuden. Die letzten Zeugnisse sind die Friedhöfe.

Auf vier Friedhöfen fanden Juden aus Ober- und Nieder-Ingelheim, Großwinternheim, Schwabenheim und Bubenheim von ca. 1700 bis 1941 ihre letzte Ruhestätte. Nach 1941 wurden einige Gedenksteine im Andenken an ermordete und vermisste Familienangehörige gesetzt. Auf dem Friedhof in der Rotweinstraße befinden sich auch neue Gräber aus diesem Jahrtausend. Die Geschichte der IngelheimerJuden ist dokumentiert in: Hans-Georg Meyer, Gerd Mentgen: Sie sind mitten unter uns, Ingelheim 1998.

 
Die vier in der Ingelheimer Gemarkung bekannten jüdischen Friedhöfe sind:
  1. Im Saal Nieder-Ingelheim, ca 1700-1935, 25 Grabsteine und Grabsteinfragmente
  2. Hugo-Loersch-Straße, ca. 1836 – 1938 (letzte Belegung), andere Namen: Im Ritterschloss, Distrikt Breitbach, Frei-Weinheimer Weg, Im Sohl;143 Grabsteine
  3. Rotweinstraße 1932 – 1941, 13 Grabsteine
  4. Groß-Winternheim, In den Hollern, ca. 1752 – 1903, für die Juden aus Groß-Winternheim und Schwabenheim, 43 erhaltene Grabsteine

Der jüdische Friedhof „Im Saal“

Seit dem 14. Jahrhundert lebten in Ingelheim nachweislich Juden. Es ist bisher nicht bekannt, wo die ersten Friedhöfe lagen. Möglicherweise mussten die Menschen ihre Toten in Mainz oder sogar in Worms bestatten lassen.

Der älteste heute bekannte jüdische Friedhof  „Im Saal“ befindet sich an der westlichen Außenmauer der Ingelheimer Kaiserpfalz (16. Station der Kaiserpfalz-Führung). Es ist die älteste bekannte jüdische Begräbnisstätte in Ingelheim. 25 Grabsteine bzw. Fragmente sind erhalten. Juden aus Nieder- und Ober-Ingelheim wurden hier bestattet.

Der Friedhof „Im Saal“ liegt vor der westlichen Außenmauer der Kaiserpfalz

1662 förderte der Kurfürst der Kurpfalz Karl-Ludwig die Ansiedlung von Juden. Durch gezielte Ansiedlung wollte er das ausgeblutete Land nach dem 30-jährigen Krieg  wieder bevölkern. Hier finden sich die Namen Feibel, Feist, Libmann und Beer. 1744 gab es für 300 Juden Schutzkonzessionen in der Kurpfalz, acht davon in Ingelheim.

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Der älteste entzifferbare Grabstein auf dem Friedhof Ingelheim „Im Saal“. Er stammt aus dem Jahr 1726. Der Todestag ist angegeben mit 4. Tag, 21, Ijar 5486. Umgerechnet ist dies Mittwoch, der 11. Mai 1726. Leider ist der Name nicht mehr lesbar. Zur Dokumentation siehe Epidat.

Diese Schutzkonzessionen beinhalteten das Recht der Ansiedlung. Juden durften Ladengeschäfte eröffnen. Dafür mussten sie höhere Steuern bezahlen als die nichtjüdische Bevölkerung. Sie erhielten auch die Erlaubnis, ihre Toten vor Ort zu bestatten. Der Friedhof „Im Saal“ wurde wahrscheinlich um 1700 angelegt.

Aus einem Bericht, über die Bezahlung der Schutzgelder ist zu entnehmen, dass im Jahre 1744 in Ober-Ingelheim Liebmann Beer, Moyses Jacob und Feist Beer wohnten, in Nieder-Ingelheim Elias Simon, Nathan Wilburger und Samuel Simon. Auf dem Friedhof „Im Saal“ wurden wahrscheinlich diese Personen, ihre Familien und Nachfahren beerdigt.

Die napoleonische Eroberung führte zu einer Stärkung der Rechte der Juden, wenn auch noch nicht zu ihrer Gleichberechtigung. 1808 mussten sich Juden mit einem festen Namen beim Standesamt registrieren lassen. In der Einwohnerliste von Ober-Ingelheim aus dem Jahr 1809 sind die jüdischen und die bürgerlichen Namen aufgeführt (Meyer 1998, S. 597). In Ober-Ingelheim lebten 87 Juden in ca. 22 Familien. Die Grabsteine tragen nur die jüdischen Namen, nicht die neuen standesamtlich festgelegten. In der Einwohnerliste sind der jüdische und der bürgerliche Name aufgeführt. Die Liste hilft bei der Zuordnung der Grabsteine zu den Personen.

Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden die Grabsteine vom Friedhof Im Saal auf den Friedhof Hugo-Loersch-Straße versetzt. 2001 wurden die Steine auf den Friedhof „Im Saal“ zurückgebracht und anhand von alten Fotografien – so weit möglich – an ihrem Ursprungsort aufgestellt. Grabsteine, die nicht zugeordnet werden konnten, befinden sich heute am nördlichen Ende des Friedhofs.

Ab 1816 gehörte Ingelheim zur hessischen Provinz Rheinhessen. In Hessen-Darmstadt waren 1816 ca. 3 % der Einwohner Juden. Verglichen mit anderen deutschen Landen war das eine hohe Zahl. Der Anteil jüdischer Bevölkerung wird in Ingelheim ähnlich gewesen sein.

Die Grabsteine auf diesem Friedhof sind überwiegend aus grauem, manche aus rotem Sandstein gehauen. Sie tragen außer der Schrift keine Verzierungen.

Viele hebräisch beschrifteten Grabsteine sind folgendermaßen aufgebaut: Zu Beginn steht die Einleitung „Hier ruht/ist geborgen“. Dann kommt ein Lobspruch, der hebräische und manchmal der deutsche Name, der Name des Vaters und bei einer verheirateten Frau der Name des Ehemanns sowie der Herkunfts- oder Wohnort. Es werden viele Abkürzungen verwendet.

Beispielhafter Aufbau eines Grabsteins auf dem Friedhof „Im Saal“

 Hier der hebräische Text, so weit er zu entziffern ist und die Übersetzung

Der Name Liebmann kommt in Ingelheim häufiger vor, so dass eine eindeutige Identifizeriung der Person bisher nicht möglich ist.

Dieser Grabstein wurde für in Ehepaar errichtet. Der Name der Frau ist unleserlich. Sie war die Tochter des Jesia, vielleicht Jessel gesprochen. Der Ehemann hieß Sim(e)on, Sohn des Uri. Die Form des Grabsteins weist auf eines der wenigen Doppelgräber hin. Sie symbolisiert die Tafeln mit den 10 Geboten, die ein Leben der verstorbenen entsprechend der Gebote Gottes ausdrückt. Zur Dokumentation siehe Epidat.

 
Grabstein "Im Saal"
Die hier erhaltenen Buchstaben sind die Abkürzung für: „Seine/ihre Seele möge eingebunden sein in das Bündel des Lebens mit allen Gerechten im Garten Eden, Amen, Sela.“
Der Segensspruch stammt aus der Bibel (1.Samuel 25,29). Er verwendet ein Bild aus der Landwirtschaft. Das „Bündel“ ist die Garbe, die auf dem Kornfeld geerntet wird. Der „Schnitter“ ist der Tod. Er „schneidet“ und „bindet“ seine Garben. Er wählt die Halme aus, die volle Ähren tragen. So wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass sich die verstorbene Person als würdig erwiesen hat, in die Garbe eingebunden zu werden. Zur Dokumentation siehe Epidat.
Foto: Michael Schlotterbeck
 

Während der Begegnungswoche 2008 konnten wir Lucien Greif an den Grabstein seiner Ur-Ur-Urgroßmutter Sara Rindskopf, geb. Gerson führen. Das war ein bewegender Moment.

Text: Klaus Dürsch

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