Publikationen

Hans-Georg Meyer, Karoline Klausing 2011:  Freudige Gefolgschaft und bedingungslose Einordnung …?
Der Nationalsozialismus in Ingelheim. Leinpfad-Verlag, 700 Seiten.

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Das Buch kann direkt beim Leinpfad-Verlag oder im Buchhandel erworben für 20.- Euro erworben werden.

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Zur Ausstellung Ingelheim im Nationalsozialismus, 12. November 2011 bis 5. Februar 2012, ist ein Ausstellungskatalog mit 95 Seiten erschienen. Er kann für 5.- Euro vom DIF erworben werden.

Klaus Dürsch 2011: Liliana und Miguel Rothschild – Auf der Suche nach den Ursprüngen: Deutsch-jüdische und argentinische Identitäten. Katalog zur Ausstellungskatalog im Neuen Rathaus Ingelheim am Rhein vom 6. bis 27. Oktober 2011.

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Hans-Georg Meyer, Gerd Mentgen 1998: Sie sind mitten unter uns. Zur Geschichte der Juden in Ingelheim. Ingelheim (Kügler), ca. 700 Seiten.

Das Buch kann noch beim DIF für 20.- Euro erworben werden.

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 Hans-Georg Meyer. Petra Harth-Meyer 1998: „……wir fühlen uns hier wieder zu Hause.“ Ingelheim (Kügler). Diese Schrift dokumentiert den Besuch von Juden aus Argentinien, Israel und den USA in ihrer alten Heimatstadt Ingelheim (Kügler), 66 Seiten (vergriffen).

Hans-Georg Meyer 1999: Sein Lebensinhalt war die Feuerwehr. Herausgegeben aus Anlass der Namensgebung des Feuergerätehauses Ingelheim in Branddirektor Ferdinand Meyer-Haus am 9. November 1999 (Kügler), 20 Seiten.

Hans-Georg Meyer 2001: Vom Nationalsozialisten zum Helden der letzten Stunde – der Fall Hermann Berndes in Ingelheim. Mainz (Hermann Schmidt). Sonderdruck aus: Hans-Georg Meyer/Hans Berkessel (Hg.): Die Zeit des Nationalsozialismus in Rheinland-Pfalz, Band 3 „Unser Ziel – die Ewigkeit Deutschlands“ Mainz (Hermann Schmidt), 22 Seiten.

Hans-Georg Meyer /Petra Hardt-Meyer 2003: 20 Jahre Deutsch-Israelischer Freundeskreis Ingelheim e.V. 1983 – 2003. Ingelheim (Kügler), 176 Seiten).

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Ingelheim im Nationalsozialismus

Ingelheim am Rhein war in vielfacher Hinsicht typisch für die rheinhessische Region: In der Weimarer Republik sah sich die Stadt zunächst mit der französischen Besatzung konfrontiert, 1923 übernahm kurzzeitig eine separatistische Kommunalregierung die Herrschaft, in den späten zwanziger Jahren prägten zunehmend die wachsende Arbeitslosigkeit sowie finanzielle und soziale Schwierigkeiten die damals noch autonomen, durch den Weinbau gekennzeichneten drei Ingelheimer Gemeinden Nieder-Ingelheim, Ober-Ingelheim und Frei-Weinheim. Die Anfänge der nationalsozialistischen Bewegung 1920, der Alltag in der totalitären Diktatur und die Sozialisation der Täter, der Opfer und der großen Mehrheit der Mitläufer im regionalen Raum zeigt, wie eng die Geschichte der Stadt Ingelheim mit der Geschichte des
Nationalsozialismus verwoben war.

Inhalt:

Dr. Joachim Gerhard
Grußwort
Klaus Dürsch
Vorwort
Prof. Dr. Michael Kißener
Vorwort
Hans-Georg Meyer, Dr. Caroline Klausing
Einleitung
I. Politische Vorprägungen und Belastungen der Weimarer Republik
VAIOS KALOGRIAS
Ingelheim und die Weimarer Republik im Spiegel der Lokalpresse
ROLAND BÄNSCH
Kämpfe um die Rheinische Republik – Lokaler Separatismus
MARKUSWÜRZ
Der Aufstieg des Nationalsozialismus
Deutsch-Israelischer Freundeskreis Ingelheim e.V. – Publikationen http://www.dif-ingelheim.de/content/view/22/48/
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II. Nationalsozialistische „Machtergreifung“ und Machtkonsolidierung
SIMON BALLMANN
Zum „Sieg des deutschen Volkes“ läuteten die Kirchenglocken: Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ in Ingelheim
CAROLINE KLAUSING
Die „Revolution des Geistes“ und die Ingelheimer NS-Funktionäre
III. Gesellschaftliche Institutionen und Gruppierungen im Dritten Reich
HELMUT HUBER
Zwischen Kreuz und Hakenkreuz -Die Geschichte der evangelischen Gemeinden
KLAUS DÜRSCH
„… als ob nichts Wichtiges in unserer Gemeinde passiert wäre.“ -Die katholische Kirche im Nationalsozialismus
FRANZ DIEHL
„Den machtpolitischen … Zugriff… auf die Schule zu sichern“
CORNELIA PETERS
Vom Sport zum Wehrturnen -Die Turngemeinde 1847 Nieder-Ingelheim
PIA STEINBAUER
Der verordnete Jubel – Die nationalsozialistische Festkultur

IV. Wirtschaftliche Entwicklungen im Dritten Reich
VAIOS KALOGRIAS
Zwischen Plan- und Kriegswirtschaft -Unternehmensgeschichten
VAIOS KALOGRIAS
Der Bauer als Prototyp der nordisch-germanischen Rasse -Das landwirtschaftliche Milieu
MICHAEL KISSENER
Unter Aufsicht – Die Firma Boehringer Ingelheim 1936 bis 1944
im Spiegel der Werkszeitung
MARTINA RUPPERT-KELLY
Der Einsatz von ausländischen Zwangsarbeitern -Eine Spurensuche
V. Verfolgung und Widerstand im Dritten Reich
Deutsch-Israelischer Freundeskreis Ingelheim e.V. – Publikationen http://www.dif-ingelheim.de/content/view/22/48/
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RENATE ROSENAU
Auslesen und Ausmerzen:
Nationalsozialistische Medizinverbrechen an Ingelheimern
HANS-GEORG MEYER
„Wer mit Juden handelt, gilt daher als unehrenhaft“ -Die Geschichte der israelitischen Gemeinde Ingelheim
JACQUES DELFELD
Der „Sonderzug“ fährt pünktlich um 10:49 Uhr -Das Schicksal der Sinti
HANS-GEORGMEYER
„Hätte das Attentat geklappt, wäre heute der Krieg aus“ -Ingelheim zwischen Nonkonformität, Resistenz und Widerstand

VI. Ende und Neuanfang
ANNO VEY
Kriegs jahre in Ingelheim
TOBIAS SCHMUCK
„Rückkehr in die Gemeinschaft des Volkes nicht versagt“ -Entnazifizierung am Beispiel Ingelheims
HANS-GEORG MEYER
Die Prozesse gegen die Täter der Judenpogrome
VII. Ingelheimer Lebenswege
PETRA HARTH-MEYER
„… für pazifistische Vaterlandsverräter kein Platz mehr …“ -Der Lehrer Karl Baiser
PETRA HARTH-MEYER
Ein Opfer des NS-Regimes – Der SPD-Vorsitzende Otto Wedekind
HANS NEUMANN
Mein Vater in den Kämpfen seiner Zeit -Das Leben des Walter Neumann
KLAUS DÜRSCH
„Der Pfaff ist die Ausgeburt der Hölle“ -Der Ober-Ingelheimer Kaplan Jakob Bergmann
KLAUS DÜRSCH    ,
Eine bedeutende Rolle im katholischen Leben gespielt
Das Leben des Wilhelm Fries
HANS-GEORG MEYER
Deutsch-Israelischer Freundeskreis Ingelheim e.V. – Publikationen http://www.dif-ingelheim.de/content/view/22/48/
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„Die Revolution frisst ihre Kinder“ -Der Volkssturmführer Hermann Berndes

Rezensionen zum Buch:

von Dr. Walter Rummel, Leiter des Landesarchiv Speyer, in:

Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Herausgegeben vom Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde und von der Arbeitsgemeinschaft der Hessischen Kommissionen in Darmstadt, Frankfurt, Marburg und Wiesbaden, 63. Band, Marburg, Selbstverlag der Herausgeber 2013, ISSN 0073-2001, S. 296-298.

,,Freudige Gefolgschaft und bedingungslose Einordnung…“? Der Nationalsozialismus in Ingelheim, hrsg. im Auftrag des Deutsch-Israelischen Freundeskreises Ingelheim e. V. und der Stadt Ingelheim von Hans-Georg

Meyer, Caroline Klausing.
Ingelheim: Leinpfad 2017,727 S. ISBN 978-3-942291-32-3.
Wissenschaftliche Beiträge zur NS-Zeit gibt es in großer Fülle, aber ob ihre Erkenntnisse außerhalb der Universitäten auch gesellschaftlich rezipiert werden, steht auf einem anderen Blatt. Im Fall des hier vorzustellenden Buches über Ingelheim in der NS-Zeit daran nicht zu zweifeln, weil das Werk sich einer bürgerschaftlichen Initiative verdankt.
Sie geht zurück auf den vormaligen Oberbürgermeister Gerhard, die Fraktionsvorsitzen aller im Ingelheimer Stadtrat vertretenen Parteien, den früheren Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz Hans-Georg Meyer und Deutsch – Israelischen Freundeskreis Ingelheim e. V. Die Verwirklichung des Vorhabens beruht auf einer Zusammenarbeit von lokal und regional orientierten Historikern, Vertretern der Gedenkstättenarbeit und der politischen Bildung sowie Vertretern der universitären Geschichtswissenschaft.
Das umfangreiche Werk ist in sieben Abschnitte gegliedert, welche die Beiträge in einer chronologisch-systematischen Form gruppieren. In der Einleitung skizzieren Hans-Georg Meyer und Caroline Klausing Entstehung und Absichten des Werkes, das keine Gesamtgeschichte, sondern Aspekte, Entwicklungen und Handlungsfolgen in Auswahl beleuchten möchte. Abschnitt I befasst sich mit den ,,politischen Vorprägungen und Belastungen der Weimarer Republik“. Vaios Kalogrias beleuchtet darin die politische Entwicklung des damals noch aus den drei Orten Ober-Ingelheim, Nieder-Ingelheim und Frei-Weinheim bestehenden Stadt Ingelheim 1919-1933 im Spiegel der Lokalpresse; Roland Bänsch untersucht Ausmaß und Auswirkungen der örtlichen Auseinandersetzung mit den unter französischer Protektion für eine ,,Rheinische Republik“ kämpfenden Separatisten; Markus Würz stellt den Aufstieg des Nationalsozialismus dar, der wie anderswo auch ab 1930 mit großer Deutlichkeit erfolgte und einerseits von anti-französischen und anti-separatistischen Stimmungen, andererseits von kommunalpolitischen Zerwürfnissen, einer rechtskonservativen Orientierung des Bürgertum und der wirtschaftlichen Krise (Landwirtschaft, Weltwirtschaftskrise) profltierte. Alle Beiträge verdeutlichen mehr oder weniger, wie die nationalistisch-revanchistische Stimmung in eine fatale Sehnsucht nach ‚nationaler Wiedergeburt‘ mündete.

Im Abschnitt II ,,Nationalsozialistische ,Machtergreifung‘ und Machtkonsolidierung“ behandelt Simon Ballermann die Inszenierung der Machtübernahme als nationales Erlösungsereignis, während Caroline Klausing das soziale Profil der lokalen NS-Funktionäre analysiert. Interessant ist Klausings These, dass das Erlebnis des Fronteinsatzes ,,sich für die Ingelheimer als ein Erlebnis von prägender Kraft auswirkte“ (S. 131), obwohl dieses Element nicht für alle NS-Aktivisten nachweisbar ist und die Mehrheit sogar der Kriegsjugendgeneration angehörte.
Abschnitt III thematisiert die ,,gesellschaftlichen Institutionen und Gruppierungen im Dritten Reich“: evangelische Gemeinden (Helmut Huber), katholische Kirche (Klaus Dürsch), Schule (Franz Diehl), die vormilitärische Ausrichtung des Turnvereins ,,1847″ (Cornelia Peters), die im Tu rnsport freilich schon lange vor 1933 begann, und die ,,nationalsozialistische Festkultur“ (Pia Steinbauer). Sehr bezeichnend ist Peters Befund, dass der Verein entgegen der Darstellung, die er 1946 der Besatzungsmacht im Antrag um Wiederzulassung vorlegte, eben nicht gegen seinen Willen ,,gleichgeschaltet“ wurde, sondern bereitwilligst in die vorgegebene Richtung marschierte, ob es nun um den Umgang mit Marxisten und Sozialdemokraten ging oder um die Entfernung jüdischer Mitglieder.

Abschnitt IV
,,Wirtschaftliche Entwicklungen“ veranschaulicht die materiellen Stützen des Regimes in der Vorkriegs- und in der Kriegszeit, wie die Beiträge zur Plan- und Kriegswirtschaft und zur Landwirtschaft (Vaios Kalogrias), zur Firma Boehringer Ingelheim (Michael Kißener) und zum Zwangsarbeitereinsatz (Martina Ruppert-Kelly) zeigen. Angesichts der sonst sehr dezimierten Quellenlage zum Zwangsarbeitereinsatz verblüfft die Menge der von Ruppert-Kelly wie von Kißener aus verschiedenen Quellen ermittelten Details.

Interessant sind die von Kißener zusammengestellten Indizien, welche sich als Versuch der Firmenleitung Boehringer verstehen lassen, ihrer Werkszeitung trotz aller Zwänge einen eigenständigen Charakter zu erhalten. Auch die betonte Zurückhaltung bei antisemitischen Ausfällen passt dazu, desgleichen die Unterstützung, die jüdische Mitarbeiter noch 1939 seitens der Firma zur Bewerkstelligung ihrer Auswanderung erhielten.

Ein weiter Abschnitt ist dem großen Thema ,,Verfolgung und Widerstand“ gewidmet. Es ist bezeichnend, dass Erstere auch in Ingelheim das Geschehen bestimmten, wie die Beiträge von Renate Rosenau zu Krankenmorden bzw. ,,Medizinalverbrechen“, von Hans-Georg Meyer zur Judenverfolgung und von Jacques Delfeld zur Verfolgung der Sinti zei-gen. Das Gegenteil hat eher in der Form von ,,Nonkonformität“ und ,,Resistenz“ Spuren hinterlassen, wie einem weiteren Beitrag von Hans-Georg Meyer zu entnehmen ist, der darin auch ausführlich die Problematik des Begriffs ,,Widerstand“ darlegt. Zu wünschen wäre, dass die von Renate Rosenau verdienstvoll recherchierten Opfer von ,,Euthanasie“ und Krankenmord alle einmal mit voller Namensnennung nachgewiesen werden. Datenschutzrechtliche Gründe stehen dem nicht entgegen.
Der Abschnitt VI gibt trotz der Bezeichnung
,,Ende und Neuanfang“ mit dem Beitrag von Anno Vey einen Überblick über die gesamte Kriegszeit, teilweise auch über die Rolle der Stadtverwaltung in der Vorkriegszeit. Mit der Darstellung der Entnazifizierung leistet der Beitrag von Tobias Schmuck Pionierarbeit und zeigt zugleich, wie wichtig die umfangreiche Überlieferung dieser Akten nicht nur für die Erforschung der Sache selbst, sondern auch für die Rekonstruktion von Ereignissen während der NS-Zeit ist. Gleiches gilt für die Prozesse, die nun gegen die Teilnehmer an den Judenpogromen geführt wurden, mit denen sich ein weiterer Beitrag von Hans-Georg Meyer befasst. Es ist bedrückend nachzulesen, dass selbst 1948 nicht gegen alle mutmaßlichen Beteiligten gerichtlich vorgegangen werden konnte, weil Zeugen nicht aussagen wollten. Klingt die persönliche Verantwortung des Einzelnen in vielen dieser Beiträge mehr als deutlich an, so ist ein letzter Abschnitt explizit ,,Ingelheimer Lebenswegen“ bzw. Schicksalen gewidmet: dem Lehrer Karl Balser, der ob seines pazifistischen Verhaltens als ,,Vaterlandsverräter“ galt, und dem SPD-Vorsitzenden Otto Wedekind (Petra Harth-Meyer), dem Kommunisten Walter Neumann, den ein abenteuerliches Schicksal von Ingelheim erst in den spanischen Bürgerkrieg, dann in das Lager Gurs und von dort als Deportierten des Vichy-Regimes bis nach Nordafrika führte, von wo aus er 1943/44 nach der Befreiung durch die Alliierten auf einer wahren Odyssee durch den nahen und mittleren Osten bis nach Moskau gelangte (Hans Neumann), dem Ober-Ingelheimer Kaplan Jakob Bergmann und dem Nieder-Ingelheimer Zentrums-Politiker Wilhelm Fries (Klaus Dürsch). Stehen diese Personen für eine rückhaltlose Opposition zur NS-Bewegung, so stellt der letzte Beitrag von Hans-Georg Meyer über Hermann Berndes eigentlich das völlige Gegenteil dar: Hermann Berndes war seit 1933 NSDAP-Mitglied, hatte bereits 1932 für die Partei ein Mandat im Gemeinderat ausgeübt, das er für viele Jahre halten sollte; er trug die antisemitische Politik des Regimes in Ingelheim mit und stellte den LKW seines Betriebes mitsamt seinem Sohn als Fahrer in der Reichspogromnacht zur Verfügung, ohne sich allerdings selbst zu beteiligen. Im März 1945 versuchte Berndes, den von ihm befeh-ligten Volkssturm vom Kampfeinsatz abzuhalten und Ingelheim kampflos zu übergeben. Wegen eines entsprechenden Aufrufes wurde er verhaftet und am 18. März, zwei Tage vor dem Einrücken amerikanischer Truppen, auf dem Ingelheimer Marktplatz gehängt. Zu Recht nähert sich Meyer kritisch der späteren Einordnung von Berndes als ,,Widerständler“ und verweist auf das auch an anderen Orten festgestellte ,,Phänomen des Widerstandes der letzten Stunde“. Berndes steht für ihn als Beispiel für die vielen Grauschattierungen, die zu begreifen mehr Mühe verlangt als Schwarz-Weiß-Urteile abzugeben.
Das Buch setzt Maßstäbe lokal- und regionalgeschichtlicher Zeitgeschichtsforschung vor allem durch die breite Streuung der Themen bzw. der Perspektiven. Ganz wesentlich für den Aufstieg der NSDAP in der Region war die nationalistisch-revanchistische Stimmung der Weimarer Zeit, welche eine fatale Sehnsucht nach einer ‚nationalen Wiederauferstehung‘ ausprägte, gleichzeitig aber nicht jeden, der diese Sehnsucht teilte, zu einem ,,Nazi“ werden ließ. Andererseits veranschaulicht die Vielzahl von Beispielen zum eigeninitiativ bestimmten Handeln mehr als das notorische ,,Mitläufertum“ – die Wirksamkeit der NS-Herrschaft als soziale Praxis, wie auch Michael Kißener in seinem Vorwort betont: ,,Erst mit Hilfe derartiger Regionalstudien lässt sich das NS-Regime greifbar machen“ (S. 14). Es bleibt zu wünschen, dass das Werk Nachahmung findet, dass es auch in den Schulunterricht einfließt und insgesamt die zivilgesellschaftliche Diskussion über Voraussetzungen von Demokratie und Diktatur fördert.

Rezension von Hannelore Battenberg,

Archiv für hessische Geschichte 70 (2012) 497 – 498

Der Titel dieses Buches ist mit einem Fragezeichen versehen. Das lässt Raum für eigene Interpretationen, besonders da, wo für eine endgültige Beurteilung vorhandene Quellen nicht (mehr) in vollem Umfang verfügbar oder Zeitzeugenberichte unvollständig oder widersprüchlich sind. Im Großen und Ganzen dürfte aber die Frage eine eher rhetorische sein. Es soll hier jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass das Stadtarchiv vor etwa 15 Jahren für ihm angebotene Dokumente kein Interesse zeigte. Möglicherweise hätte sich die eine oder andere offene Frage ja anhand dieses Materials beantworten lassen. Es ist nicht das erste Buch, in dem sich Hans-Georg Meyer dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung der Stadt Ingelheim annimmt – im vorliegenden, auch wieder sehr umfangreichen Werk (727 Seiten) widmen sich 19 Autoren vielfältigen Themen(schwerpunkten), und es war Grundlage des wissenschaftlichen Konzepts der Veröffentlichung (Begleitung: Prof. Dr. Michael Kißener, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz), dass die Untersuchungen über die Zeit des Nationalsozialismus hinausgreifen und sowohl die Geschichte der Jahre 1919 bis 1933 als auch den gesellschaftlich-politischen Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945 zumindest partiell mit einbeziehen sollte. Die Themen berühren insofern die Vorprägungen und Belastungen der Weimarer Republik, die Zeit der separatistischen Kommunalregierung, die gesellschaftlichen Institutionen, Gruppierungen, wirtschaftliche Entwicklung, Verfolgung und Widerstand im Dritten Reich bis zum Neuanfang mit den Prozessen gegen die Täter der Judenpogrome. Ein Kapitel widmet sich im Übrigen auch dem Schicksal der Sinti, der Zwangsarbeiter und am Ende des Bandes zudem einzelnen sehr individuellen Lebenswegen. Trotz der wissenschaftlichen Begleitung, die dem Buch sicher gut getan hat, ist es für alle an Ingelheimer Geschichte Interessierte leicht lesbar. Dem Literatur- und Abkürzungsverzeichnis ist zusätzlich ein Internet-Literaturverzeichnis beigegeben sowie ein nicht ganz lückenloses Personenverzeichnis. Auch die einzelnen Autoren werden im Anhang vorgestellt. Ergänzt und aufgelockert durch zahlreiche Fotos, u.a. aus Privatbesitz und dem sicher umfangreichsten Fotoarchiv von Peter Weiland, sowie der Abdruck von Quellenmaterial oder eines Quellenanhangs zu einigen Kapiteln machen das Buch sicher nicht nur für einen Leserkreis aus Ingelheim interessant. Erschienen ist das Buch im Auftrag des Deutsch-Israelischen Freundeskreises Ingelheim e.V. (Vorwort Klaus Dürsch) und der Stadt Ingelheim (Grußwort Dr. Joachim Gerhard) beim kleinen aber feinen Leinpfad Verlag, der sich schon häufiger Ingelheimer und regionalen Themen angenommen hat.

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Zur Geschichte der Juden in Ingelheim

Größe: 21 x 27,5 cm, ISBN-Nr. 3-924124-29-9, ca. 700 Seiten, 400 Abbildungen (Dokumente, Fotos),

Das Buch kann beim Deutsch-Israelischen Freundeskreis Ingelheim e.V, Grundstr. 3, 55218 Ingelheim oder unter Kontakt erworben werden.
Das Buch beschreibt in acht Kapiteln die Geschichte der Juden in Ingelheim von den ersten Nachweisen im frühen Mittelalter bis zur Vernichtung
der jüdischen Gemeinde im Jahr 1942.
Das erste Kapitel „Ingelheimer Juden im Mittelalter“ wurde von Dr. Gerd Mentgen, Trier, verfaßt. Die weiteren Kapitel stammen von Hans-Georg
Meyer, Ingelheim, und befassen sich mit den „Ingelheimer Juden in der Neuzeit“, „Jüdisches Wirtschaftsleben in Ingelheim“, „Das gesellschaftliche
Zusammenleben in Ingelheim“, „Das Schulwesen, jüdische Lehrer und Schüler“, „Die Synagoge der jüdischen Gemeinde zu Ober-Ingelheim“, „Der
Nationalsozialismus und die Leiden der jüdischen Bevölkerung ab 1933″ sowie „Die jüdischen Friedhöfe in Ingelheim“. Dabei sieht Hans-Georg
Meyer den Schwerpunkt seiner Arbeit in der Aufarbeitung der Geschichte Ingelheims während des Nationalsozialismus: „So wichtig es ist, auf die
Gesamtgeschichte der Juden in unserer Stadt zu verweisen, und nicht nur auf die 12 Jahre Geschichte des Nationalsozialismus, so unbestreitbar
ist auch, daß das sogenannte ‚Dritte Reich‘ ein Teil dieser Gesamtgeschichte, und zwar der wichtigste und in seinen Auswirkungen gleichsam
tragischste in der Geschichte unserer Stadt und Deutschlands ist.“
Stimmen zum Buch:
„Ich bin voller Bewunderung für die liebevolle Genauigkeit, mit der Sie sich in die Geschichte der Ingelheimer Juden vertieft haben. Natürlich habe
ich besonders die Teile über die NS-Zeit studiert. Es gibt ja jetzt mehrere solche Ortsgeschichten. Aber kaum eine scheint mir so gründlich
Deutsch-Israelischer Freundeskreis Ingelheim e.V. – Publikationen http://www.dif-ingelheim.de/content/view/22/48/
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recherchiert zu sein wie die Ihre…“
(Prof. Dr. Eberhard Jäckel, Historisches Institut der Universität Stuttgart)
„Die ausführliche und gründliche Dokumentation des Berufs- und Wirtschaftslebens, aber auch die Aktivitäten im Bildungsbereich und im kulturellen
Leben Ingelheims, machen das Buch zu einer Fallstudie und einem Quellenschatz von allgemeinerer Bedeutung, die mir für den gesamten
rheinhessischen Bereich, aber auch darüber hinaus, typisch erscheint. Das gilt auch für den reichhaltigen Quellenanhang …“
(Prof Dr. Kurt Düwell, Historisches Seminar an der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf)
Alle Aspekte dieser Beziehung [zwischen Deutschen und Juden] werden dokumentiert. Der Einzelfall Ingelheim wird damit zum Modell. Der Beitrag
der Juden zur wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung wird in der Studie, und zwar auf jeder historischen Stufe,
umfassend dargestellt.“
(Dr. Martin Lüdke, Literaturkritiker, SWR-Fernsehen, Mainz)
„Ein Memorbuch: Wer die alte Tradition der Memorbücher kennt, die früher von jüdischen Gemeinden geführt wurden, wird daran durch die Chronik
der Juden im rheinhessischen Ingelheim, ‚Sie sind mitten unter uns“, unweigerlich erinnert … Die folgenden Kapitel, die sich z.B. mit dem jüdischen
Wirtschaftsleben und den gesellschaftlichen Interaktionen von Juden und Nichtjuden auseinandersetzen, die das jüdische Schulwesen und die
Synagogengeschichte beschreiben, sind chronologisch und enden jeweils in den Jahren der NS-Zeit. Diese Art der Darstellung ist ungewöhnlich -und dabei doch äußerst angemessen … Das gesonderte Kapitel über die Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung der Ingelheimer Juden geht auf
die Mechanismen, den Novemberpogrom 1938 und die Deportation der Juden aus Ingelheim sowie die wenigen Geretteten und Überlebenden ein.
Ein großes Kapitel über die jüdischen Friedhöfe bei Ingelheim sowie ein Dokumentenanhang runden das Buch ab … Wohltuend ist daher die
Deutlichkeit Meyers, die in Bezug auf die Jahre nach 1933 manchmal auch einen spürbaren, wenngleich verhaltenen Zorn beinhalten. Ihm ist zu
danken, daß dieses Werk erschien – und es ist zu hoffen, daß es eine große Verbreitung findet. Es könnte sogar zu einem Schulbuch werden, denn
es zeichnet exemplarisch die Geschichte von Juden in einer Kleinstadt nach. Es sollte aber auf jeden Fall Vorbild werden für jene, die an jüdischer
Regionalgeschichte arbeiten, denn hier war ein Profi am Werk und nicht ein historischer „Laienverein.“
(Susanne Urban-Fahr, TRIBÜNE – Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, FrankfurtIMain, 4/1998)

https://dif-ingelheim.de