Das Projekt Stolpersteine wurde von dem Kölner Künstler Gunter Demnig zur Erinnerung an die Vertreibung und Ermordung der Juden und anderer Verfolgter durch die NS-Diktatur ins Leben gerufen, siehe www.stolpersteine.com. Er setzte auch die Steine in Ingelheim.
Verneigung vor den OpfernDie Initiatoren wollen erreichen, dass das Schicksal der verfolgten Ingelheimer Bürger unvergessen bleibt. Wer lesen will, was auf den Steinen geschrieben steht, muss man sich herunterbeugen. Dieses Verneigen ist eine Geste der Ehrerbietung vor den Opfern. Die Steine aus Messing wurden auf dem Gehweg eingelassen. Stolpersteine in Ingelheim am RheinIn den Jahren 2006, 2008 und 2010 wurden in Ingelheim insgesamt 36 Stolpersteine an 13 Stellen gesetzt. Die Initiative Stolpersteine in Ingelheim ging von der Anti-Gewalt und Rassismus-AG (AGAG) der Integrierten Gesamtschule Kurt Schumacher aus und wurde von der Stadtverwaltung unter Leitung von Oberbürgermeister Dr. Joachim Gerhard und dem Deutsch-Israelischen Freundeskreis Ingelheim e.V. unterstützt. Am 7. August 2006 wurden die ersten 17 Steine gesetzt. Sie erinnern an die 17 Menschen, die am 20. September 1942 aus Ingelheim deportiert wurden. Sie wurden verschleppt, weil sie sich selbst als Juden bezeichneten bzw. ihnen das Jude-Sein zugeschrieben wurde. Die Steine wurden vor den letzten mehr oder weniger freiwillig gewählten Wohnsitz ins Straßenpflaster eingelassen. In den meisten Fällen das Haus, in dem die Menschen den größten Teil ihres Lebens verbracht haben. Eine Ausnahme ist die Familie Schäfer, siehe dort. Sieben Stolpersteine wurden 2008 vor die Häuser gesetzt, in denen jüdische Ingelheimer gelebt haben, die ermordetet wurden oder deren Schicksal ungewiss ist. Die meisten erinnern an Familienangehörige der Besucher, die im November 2008 auf Einladung der Stadt Ingelheim am Rhein und des Deutsch-Israelischen Freundeskreis Ingelheim e.V. zu Gast waren. Zwei Steine wurden auf Initiative der heutigen Hausbesitzerin verlegt. 2008 und 2010 waren die Ingelheimer weiterführenden Schulen mit engagierten Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften in das Projekt eingebunden. Verlegestellen1 Mainzer Str. 78, Familie Nussbaum
2 Mainzer Str. 31, Familie Otto Mayer
*20.06.1882, verhaftet 1942, Lager Neustrum, Emslandlager V, ermordet 1942.
Margot Mayer, *31.12.1922, deportiert 1942, Piaski / Lublin, vermisst, Todesdatum unbekannt. 3 Mainzer Str. 14, Familie Koch
4 Binger Str. 4, Familie SchäferArtur Schäfer, *17.10.1894, deportiert 20.9.1942 aus Ingelheim. 5 Bahnhofstr. 23, Familie Karl Neumann
6 Bahnhofstr. 79, Familie Moritz Neumann
7 Bahnhofstraße 129, Familie Mayer>>>Henrietta Mayer, geb. Stein, * 20.06.1861, deportiert 1942, Theresienstadt, ermordet 1942. 8 Neuweg 1, Familie Kahn>>>Rieke Kahn, geb. Fränkel, JG. 1867, Flucht nach Frankreich, 1940 in Paris, Flucht in den Tod. 9 Stiegelgasse 25 / Synagogenplatz, Familie Langstädter
10 Stiegelgasse 51, Familie Eisemann>>>Marius Eisemann, *01.12.1890, Stiegelgasse 51, deportiert 20.9.1942 aus Ingelheim. 11 Heimesgasse 6, Familie Wertheim/Oppenheimer
12 Heimesgasse 14, Familie Mayer
(weitere Details siehe unten auf dieser Seite) 13 Oberer Zwerchweg 24, Familie Loeb/KahnDie Stolpersteine liegen auf der Ecke Oberer Zwerchweg/Am Plenzer. Manchmal sind sie zugeparkt.
14 Jakob Möhner Groß-Winternheim)Der Groß-Winternheimer Jakob Möhner, geboren 1891 in Vendersheim, hatte sich bei einem Fahrradunfall schwere Kopfverletzungen zugezogen. In der Folge litt er an psychischen Krankheiten und war suizidgefährdet. Seit 1930 lebte er in der Landesheil- und Pflegeanstalt Alzey. Im Februar 1941 wurde er nach Weilmünster und im März desselben Jahres in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt. Hier wurde er am 18. und 19. März 1941 in der Gaskammer ermordet. Jakob Möhner ist das einzige nichtjüdische Opfer der nationalsozialistischen Diktatur, für den ein Stolperstein gesetzt wurde. Renate Rosenau schrieb einen Artikel in dem Ingelheimer Buch über den Nationalsozialismus von Hans-Georg Meyer und Caronline Klausing (Hrsg.): „Freudige Gefolgschaft und bedingungslose Einordnung …?“ unter dem Titel: „Auslesen und Ausmerzen: Nationalsozialistische Medizinverbrechen an Ingelheimern“ (Seite 383ff). Leinpfad Verlag 2011. Zu den Personen:1 Mainzer Str. 78 Familie Nussbaum>>>Gustav Nussbaum, *11.01.1874, deportiert 20.9.1942 aus Ingelheim, nach Theresienstadt, überlebte das KZ. 2 Mainzer Str. 31 Familie Otto Mayer
Otto Mayer, *20.06.1882, verhaftet 1942, Lager Neustrum, Emslandlager V, ermordet 1942. Otto Friedrich Mayer, Jahrgang 1882, war gebürtiger Nieder-Ingelheimer. Die Eltern, die einen Weinhandel hatten, lebten in der Mainzer Straße und danach in der Grundstraße. Ihr Sohn Otto Mayer stieg in den elterlichen Betrieb ein und arbeitete später als Weinhändler und Kaufmann im Außendienst. Geschäftlich war der nur 1,50 Meter große Mann offenbar nicht sonderlich erfolgreich, dafür engagierte er sich ehrenamtlich in der Nieder-Ingelheimer Sanitätskolonne. Am 23. Januar 1922 heiratete Otto Mayer die Ober-Ingelheimerin Olga Philippine Mayer, Tochter von Moritz und Henrietta Mina Mayer, die eine Kohlenhandlung in Ober-Ingelheim hatten. Er wurde von den Ober-Ingelheimern der „Kohlen-Mayer“ genannt (siehe Verlegestelle 7, Bahnhofstr. 129). Nach der Hochzeit zogen Otto und Olga Mayer mehrfach innerhalb Ingelheims um. Zuletzt erhielten sie eine Mitwohnung in Weingut Mett in der Mainzer Straße. Nach dem Pogrom 1938 wurde Otto Mayer zum ersten Mal verhaftet und im KZ Buchenwald interniert. Nach seiner Entlassung im Dezember 1938 beschlossen er und seine Ehefrau, die beiden jüngeren Kinder Ruth und Berthold nach England in Sicherheit zu bringen. Die Kinderverschickung nach England dürfte den jüdischen Geschwistern Ruth und Berthold Mayer im Zweiten Weltkrieg das Leben gerettet haben. Denn anders als ihre ältere Schwester Margot entgingen sie der Deportation durch die Nationalsozialisten. Nach den Novemberpogromen 1938 entschieden sich die Eltern Otto und Olga Mayer, ihre beiden jüngeren Kinder Ruth (13) und Berthold (10) nach Birmingham zu schicken. Nur die älteste Tochter Margot Lea, damals 17, blieb bei den Eltern in Nieder-Ingelheim. Die drei in Deutschland verbliebenen Familienmitglieder zogen am 9. September 1939 von Ingelheim in die Martinstraße nach Mainz. Doch auch dort holte sie der Terror ein. Am 12. Dezember 1941 wurde Otto Mayer erneut verhaftet. Nachdem er mehrere Haftanstalten und Lager durchlaufen hatte, starb er am 26. April 1942 im Emslandlager KZ Neusustrum. Todesursache war laut Krankenakte eine „Kreislaufschwäche“. Die 19-jährige Tochter Margot wurde am 20. März 1942 in der Mainzer Wohnung der Mayers abgeholt und in den Osten deportiert. Ihr Mutter Olga Mayer blieb nun allein zurück. Der Kontakt mit ihren beiden jüngeren Kindern in England beschränkte sich auf sporadische Briefwechsel. Am 30. September 1942 schließlich wurde auch Olga Mayer deportiert. Ebenso wie ihre Tochter Margot wurde sie in den Osten verschleppt. Beide, Mutter und Tochter, wurden zum 31. Dezember 1945 für tot erklärt. Ruth und Berthold Mayer, die den Krieg in England überlebten in England. Ursula Krechel beschreibt in ihrem Roman „Landgericht“ einfühlsam das nicht einfache Schicksal dieser nach England geretteten Kinder. Beide emigrierten 1948 nach New York. Erst Jahre später erfuhren sie vom Schicksal ihrer Eltern und ihrer Schwester Margot. Ruth Mayer besuchte Ingelheim 1998 auf Einladung des Deutsch-Israelischen Freundeskreises und der Stadt Ingelheim am Rhein. Berthold brach jeglichen Kontakt mit seiner Familie ab.
3 Mainzer Str. 14>>>Lina Koch, *23.05.1883, deportiert 1942, Piaski / Lublin, vermisst, Todesdatum unbekannt. Die Patenschaft übernahm die Albert-Schweitzer-Schule unter Leitung von Frau Lilli Nonte. 4 Binger Straße 4 Familie SchäferSchäfer, Artur 17.10.1894 (zum Zeitpunkt der Deportation 48 Jahre) Schäfer, Betty geb. Bendorf 01.02.1904 (zum Zeitpunkt der Deportation 38 Jahre) Schäfer, Inge 18.09.1927 (zum Zeitpunkt der Deportation 15 Jahre) Familie Schäfer betrieb das Schuhgeschäft Schäfer und Raphael in der Stiegelgasse 29, etwa dort, wo heute der Jungfernpfad in die Stiegelgasse einmündet. Das Schuhgeschäft bestand seit mindestens 1865. Während der Novemberpogrome am 9.-10. November 1938 wurde auch dieses Geschäft überfallen und demoliert. Da die Wohnung zerstört war, kam Familie Schäfer zuletzt in der Binger Straße 4 (links neben dem Kopierladen) unter. Hier betrieb die Familie Heinrich Strauß eine Metzgerei. Betty, Ernst und Renate Schäfer wurden von hier aus am 20. September 1942 mit 14 weiteren Ingelheimern deportiert. Deshalb wurden die Stolpersteine hier, an ihrem letzten Wohnsitz in Ingelheim verlegt (Meyer 1998, S. 258). 5 Bahnhofstr. 23 Familie Karl Neumann
>>>Karl Neumann, JG. 1872, deportiert 1942, Theresienstadt, ermordet 1943 >>>Luise ’Lilly’ Neumann, geb. Mayer , JG. 1882, deportiert 1942, Theresienstadt, ermordet 1944 Die Patenschaft übernahm die Realschule unter Leitung von Frau Müller-Algesheimer. 6 Bahnhofstr. 79 ( Mutterhaus Möbel Schwaab) Familie Moritz Neumann
>>>Moritz Neumann, JG. 1878, deportiert 1942, Todeszeitpunkt unbekannt. Hedwig Neumann, geb. Roos, JG. 1883, deportiert 1942, Todeszeitpunkt unbekannt. Moritz Neumann war zusammen mit seinem Bruder Karl als Teilhaber an der Weinhandlung Laufer. Nach der Machtübernahme durch die nationalsozialistische Diktatur 1933 liefen die Geschäfte so schlecht, so dass die Brüder das Geschäft 1938 schließlich verkaufen mussten. Sie lebten dann in Wiesbaden, bis sie ca. 1942 von dort ins KZ Theresienstadt deportiert wurden und dort umkamen (Siehe Neumann, unten) 7 Bahnhofstr. 129, Familie Moritz MayerStolpersteine für Henrietta Mina und ihre beiden Söhne Robert und Heinrich Mayer. Kurz bevor die Bahnhofstraße in den Ober-Ingelheimer Markt einmündet, dort wo heute die Bushaltestelle ist, betrieb die Familie Moritz und Henriette Mina Mayer seit 1863 eine Kohlenhandlung. Da viele Familien Mayer hießen, wurden sie „Kohlen-Mayer“ genannt. Sie hatten sechs Kinder. Moritz Mayer starb früh. Sein Sohn Martin verkaufte 1934 die Handlung. Vermutlich wirkte sich der Boykott der jüdischen Geschäfte von 1933 auch hier negativ aus. Moritz Frau Henrietta Mina Mayer lebte in dem Haus noch bis 1939 zur Miete und zog dann nach Mainz. Sie wurde am 28. September 1942 im Alter von 81 Jahren über Darmstadt ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort starb sie am 13. Oktober 1942 an den Folgen der Haft. Für sie und ihre Söhne Ferdinand und Robert werden Stolpersteine vor der früheren Kohlenhandlung in der Bahnhofstraße (jetzt 129) gesetzt. Das Haus steht nicht mehr. Zwei Kinder von Henrietta Mina und Moritz Mayer konnten sich retten. Die älteste Tochter Alice Babette, verh. Löwensberg und der jüngste Sohn Martin emigrierten in die USA. Von ihren elf Enkelkindern lässt sich nachweisen, dass neun gerettet wurden, weil sie rechtzeitig ins Ausland gebracht werden konnten, Margot wurde ermordet und ein Schicksal ist unbekannt. Familie Mayer, einst Kohlehändler in der BahnhofstraßeBeate Schwenk schrieb dazu in der AZ-Ingelheim am 8.11.2010: MAHNUNG Nur noch Messingplatten erinnern an Familie Mayer in Ober-Ingelheim (pea). Vor wenigen Wochen hat der Kölner Künstler Günter Demnig auf Initiative des Deutsch-Israelischen Freundeskreises (DIF) zwölf weitere Stolpersteine im Stadtgebiet verlegt. Sie erinnern an Ingelheimer Juden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Wer waren die jüdischen Familien, an die mit den Gedenktafeln aus Messing erinnert wird? Dieser Frage geht die Allgemeine Zeitung in einer vierteiligen Serie nach. Am oberen Ende der Bahnhofstraße war früher eine Holz- und Kohlenhandlung. Genau dort, wo sich heute ein Parkplatz mit Bushaltestelle befindet, hatte die jüdische Familie Mayer bis in die 1930er Jahre ihr Geschäft. Seit 1863 war die Holz- und Kohlenhandlung in Familienbesitz. In dem Laden in der Bahnhofstraße wurden Back- und Tuffsteine, Kaminrohre, Koks oder Wagnerhölzer verkauft. Auch Baumaterialien, Kisten und Koffer waren dort zu bekommen. Regelmäßig warb der jüdische Kohlenhändler Moritz Mayer im Rheinhessischen Beobachter mit großformatigen Anzeigen. Als Moritz Mayer am 2. Juni 1892 völlig überraschend mit nur 38 Jahren starb, ließ er seine Ehefrau Henrietta Mina Mayer, geborene Stein, mit sechs kleinen Kindern zurück. Wer nach dem Tod des Familienvaters den Betrieb weiter führte, darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Vermutlich aber war es seine Witwe Henrietta Mina. Sie leitet den Betrieb wohl so lange, bis ihr jüngster Sohn Moritz Martin die Geschäfte übernahm. Am 17. Februar 1933 wurde in der Ingelheimer Zeitung über die „Firma Kohlen-Mayer“ berichtet. Anlass war das 75-jährige Bestehen des Familienbetriebes. Bei dieser Gelegenheit teilte die Zeitung ihren Lesern auch mit, dass die Kohlenhandlung einen neuartigen Küchenbrennstoff auf den Markt bringen werde, der unter anderem „ruß- und schlackenfrei“ sei. In den 1930er Jahren waren in der Holz- und Kohlenhandlung auch Artikel wie Bohnenstangen, Rosenpfähle, Baumstützen oder Einfriedungspfähle zu haben. 1934 wurde das Anwesen der Familie Mayer an den „arischen“ Kohlenhändler Johann Rauth verkauft. Während Moritz Martin Mayer mit seiner Familie nach Berlin zog, wohnte seine Mutter Henrietta Mina zunächst weiter in der Bahnhofstraße. Am 3. Oktober 1939 zog auch sie, wie viele andere Ingelheimer Juden, nach Mainz. Von dort wurde die 81-Jährige am 28. September 1942 über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 13. Oktober 1942 ermordet wurde. Freitod als einzige Lösung An ihr Schicksal erinnert ein Stolperstein, den der Kölner Künstler Gunter Demnig vor der Bushaltestelle in der oberen Bahnhofstraße in den Gehweg eingelassen hat. Rechts und links davon liegen zwei weitere Messingtäfelchen. Sie sind dem Gedenken an ihre Söhne Ferdinand und Robert gewidmet. Ferdinand Moses Mayer wurde am 7. Juli 1887 geboren und war das dritte Kind von Henrietta Mina. Er besuchte bis 1901 die Höhere Bürgerschule in Ober-Ingelheim. Später lebte er in Berlin-Neukölln. Sein jüngerer Bruder Robert Heinrich Mayer, geboren am 14. Juni 1988, ging bis 1902 auf die Höhere Bürgerschule. Während des Ersten Weltkrieges war Robert Soldat. Mit Unterbrechungen lebte er bis 1922 in Ober-Ingelheim. Später zog er nach Offenbach, wo er als Kaufmann und Fabrikant tätig war. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde Robert von der Staatspolizei Offenbach in „Schutzhaft“ genommen und ins KZ Dachau gebracht. Wann er wieder entlassen wurde, ist nicht bekannt. Beide Brüder, Ferdinand und Robert Mayer, überlebten die NS-Zeit nicht. Ferdinand starb am 11. März 1940 in Berlin und Robert am 22. März 1943 in Offenbach. Beide flohen vor den Nazis in den Freitod. Die Brüder wurden nur 52 beziehungsweise 54 Jahre alt. 8 Neuweg 1, Familie Salomon Kahn9 Stiegelgasse 25, Louis Ludwig und Betty LangstädterDer Ober-Ingelheimer Lehrer Louis Ludwig Langstädter wohnte im Vorderhaus der Synagoge, Stiegelgasse 25. Während des Novemberpogroms am 9. – 10. November 1938 wurde seine Wohnung verwüstet, so dass er zu seinem Schwager Leo Krauskopf nach Mainz ziehen musste. Von dort wurden er, seine Frau Betty, sein Schwager und seine Schwägerin Paula 1942 in den Osten deportiert. Informationen über ihren weiteren Verbleib liegen nicht vor. Die Ehepaare wurden höchstwahrscheinlich im Vernichtungslager Treblinka ermordet. 10 Stiegelgasse 51 Familie EisemannEisemann, Marius geb. am 01.12.1890, Stiegelgasse 51 (zum Zeitpunkt der Deportation 52 Jahre) Eisemann, Thekla geb. Teutsch, geb. am 27.06.1902 (zum Zeitpunkt der Deportation 40 Jahre) Ernst Simon Eisemann, geb. am 26.12.1891, deportiert, Auschwitz, ermordet 1943. >>>siehe Lebensgeschichte der Familie Eisemann 11 Heimesgasse 6, Familie WertheimOppenheimer, Sophie , geb. Stein, am 03.10.1874 Wertheim, Josef, geb. 02.01.1893 deportiert 20.9.1942 aus Ingelheim. Zum Zeitpunkt der Deportation 49 Jahre alt Renate Wertheim
Renate Wertheim war die jüngste der letzten 17 Ingelheimer Juden, die am 20. September 1942 aus Ingelheim deportiert wurden. Eine Nachbarin hob das Foto des Mädchens auf. Die Familie Oppenheimer lebte seit mindestens dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Ober-Ingelheim. Sie betrieb zunächst eine Metzgerei, später ein Textilwarengeschäft. Emmanuel Oppenheimer inserierte seit 1860 regelmäßig im Rheinhessischen Beobachter. 1901 übernahm sein Sohn Siegmund das Geschäft. Er engagierte sich auch politisch, wie viele Juden, in der Deutschen Demokratischen Partei. Über 40 Jahre war er Schriftführer des Gesangvereins „Germania“. Er starb im Mai 1938 und musste so die Schließung seines Geschäftes nicht mehr miterleben. Die Witwe Sophie Oppenheimer lebte mit der Familie ihrer Tochter Friederike Anna, verheiratete Wertheim bis zu ihrer Deportation 1942 weiterhin im Haus (siehe unten). Joseph und Anna Wertheim, geb. OppenheimerJoseph (auch Josef) Wertheim kam aus Lampertheim bei Worms. Joseph Wertheim nahm am 1. Weltkrieg teil und wurde dafür mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Er heiratete am 30. März 1933 Anna Friederike Oppenheimer, eine Tochter des Geschäftsinhabers Siegmund Oppenheimer. Zunächst lebte junge Familie in der Mühlstraße 35. Später zog sie in das Elternhaus von Anna ein. Ausgerechnet am 1. April 1933, als die NS Diktatur den „Judenboykott“ durchführen ließ, wurde Joseph Wertheim in das Geschäft seiner Schwiegereltern als Gesellschafter eingetragen. Wie bei allen jüdischen Geschäften wird auch hier seit dem „Judenboykott 1933“ der Umsatz erheblich zurückgegangen sein. Laut Ingelheimer Zeitung vom 12. Oktober 1938 wurde das Anwesen an einen lokalen Landwirt verkauft. Die Quellen widersprechen sich hier allerdings. Während des Novemberpogroms am 9. und 10. November 1938 wurde auch das Anwesen der Familie Oppenheimer / Wertheim in der Heimesgasse 6 verwüstet und Lebensmittel aus dem Fenster geworfen. Die Familie muss laut mehreren Zeugenaussagen in dieser Nacht sehr gelitten haben. Wie mindestens acht weitere Männer aus Ingelheim wurde Joseph am 12. November verhaftet und verbrachte mehrere Wochen im Konzentrationslager Buchenwald (Haftnummer 260967). Auch später muss die Familie immer wieder schikaniert worden sein. Die Wertheims bemühten sich darum, Deutschland zu verlassen. 1993 berichtete Erich Oppenheimer, ein Bruder von Anna Friederike in einem Zeitzeugengespräch, dass ihrem Mann Joseph in der Pogromnacht die Zähne eingeschlagen wurden. Das führte dazu, dass er kein Einreisevisum in die USA bekam. Da Zähne fehlten, war er nicht ganz gesund. Josefs Schwester war die Flucht nach Argentinien geglückt. Ein Bruder von Anna Friederike, Fritz Oppenheimer, lebte bereits seit 1925 in den USA. Zu seinen Nachfahren besteht bis heute Kontakt. Die Familie wurde weiter schikaniert. So wurden im November 1939 Lebensmittel und Bedarfsgegenstände beschlagnahmt, die angeblich gehamstert worden seien. 1940 gab es Bemühungen einer Privatperson und der Stadt Ingelheim am Rhein, die jüdische Familie aus dem Haus zu vertreiben. Aus erhaltenen Notizen geht hervor, dass die Familie kein Geld zur Ausreise hatte und einen großen Teil ihres Lebensunterhalts aus den Produkten des Gartens hinter ihrem Haus bezog. Sie muss also sehr arm gewesen oder geworden sein. Darauf weist auch eine Notiz aus dem Jahr 1940 hin. Demnach habe Sophie Oppenheimer ihr Haus noch nicht verkauft, da sie nicht genug Geld für eine Ausreise habe und weil sie ihren Lebensunterhalt aus den Produkten ihres Gartens bestritt. Das Geld aus den Hausverkäufen wurde in der Regel auf ein Sperrkonto eingezahlt. Die Eigentümer erhielten davon nichts. Anna Friederike und Josef Wertheim hatten drei Kinder. Die Zwillinge Heinz und Herbert wurden am 25.12.1933 geboren. Heinz starb mit einem halben Jahr. Herbert starb am 27.03.1939 an Herzmuskelentzündung und Diphterie in Frankfurt a. M. im Krankenhaus der jüdischen Gemeinde (Standesamt Frankfurt V, Nr. 461/1939). Beigesetzt wurde er auf dem Neuen Jüdischen Friedhof an der Eckenheimer Landstraße 238 (Auskunft Institut für Stadtgeschichte Frankfurt). Laut Zeugenaussagen war der Tod die Folge seines nächtlichen Aufenthalts im Garten während der Anschläge in der Pogromnacht. Sein Bruder Heinz (Grabstein) und sein Großvater Siegmund Oppenheimer (Grabstein) wurden auf dem Friedhof in der Rotweinstraße bestattet. Renate Wertheim wurde am 20. März 1935 als drittes Kind ihrer Eltern geboren. Sie wird die Ängste der Eltern gespürt haben und als Dreijährige die Pogromnacht als Schreckensnacht bewusst erlitten haben. Die Bemühungen der Eltern um Ausreise scheiterten. Renate, ihre Großmutter und ihre Eltern wurden mit 14 weiteren Ingelheimern am 20. September 1942 mit einem Lastwagen abgeholt und nach Mainz gebracht. Dort wurde die Familie getrennt. Sophie Oppenheimer wurde mit dem Transport am 27. September 1942 über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert (siehe Deportationsliste und Yad Vashem). Am 16. Mai 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert und dort wahrscheinlich ermordet. >>Siehe Yad Vashem. Laut neueren Untersuchungen an der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem wurden Joseph, Anna Friederike und Renate Wertheim am 30. September 1942 von Mainz über Darmstadt (siehe Deportationsliste) direkt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort sofort durch Gas ermordet. Joseph und Anna Wertheim wurden vom Amtsgericht Ingelheim am Rhein zum 31. Dezember 1942 für tot erklärt. Durch die Benennung eines Platzes in der Neuen Mitte Ingelheims nach Renate Wertheim am 18. April 2018 wird die Erinnerung an das Mädchen wach gehalten. An diesem Platz liegen das Sebastian-Münster Gymnasium und die Mediathek. Kinder können auf diesem Platz spielen, so wie Renate es nicht konnte. Weiterhin erinnern Stolpersteine vor ihrer letzten Wohnung in Ingelheim an sie. Dass der Platz nach Renate benannt wurde, sollte eine Mahnung an uns sein: Quellen: „Sie sind mitten unter uns“ von Hans Georg Meyer, Ingelheim 1998, S. 241 – 248, Berichte von Nachfahren, Stadtarchiv Ingelheim am Rhein, Stadtarchiv Frankfurt am Main, Gedenkstätte Buchenwald, Gedenkstätte Yad Vashem, Fotos aus Privatbesitz, u.a. Eine Powerpointpräsentation kann beim DIF für unterrichtliche Zwecke angefordert werden. Siehe „Kontakt“
12 Heimesgasse 14, Johannetta MayerMayer, Johannetta (Hettie), geb. Kapp 23.11.1880 in Mainz-Hechtsheim, Heimesgasse 14 (zum Zeitpunkt der Deportation 62 Jahre). Deportiert am 20.9.1942 aus Ingelheim am Rhein. Sie war die älteste Tochter von Emanuel und Mathilde Kapp. 1906 heiratete sie den Ober-Ingelheimer Metzger Hugo Mayer. Dieser führte das Geschäft in der Heimesgasse, das schon seit dem 19. Jahrhundert in Familienbesitz geführt wurde. Laut Zeitzeugen konnten hier die besten Rindswürstchen gekauft werden, „Juddewerschtche“ genannt. Nach dem Tod ihres Mannes Hugo im Jahr 1914 führte die Witwe das Geschäft weiter. Sie wurde von (christlichen) Metzgern in der Umgebung beliefert Meyer 1998, S. 211). 13 Oberer Zwerchweg 24, Familie LoebKahn, Emilie geb. Loeb, 25.05.1879 (zum Zeitpunkt der Deportation 63 Jahre) Loeb, Ernst 23.06.1891, (zum Zeitpunkt der Deportation 51 Jahre) Loeb, Erna geb. Kahn 24.07.1905, (zum Zeitpunkt der Deportation 37 Jahre) Loeb, Günter 24.05.1927, (zum Zeitpunkt der Deportation 15 Jahre) Günters Vater Ernst Loeb kam aus Bayern, war im 1. Weltkrieg Soldat gewesen und hatte dann den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb geleitet. Günters Mutter Erna Friederike Kahn war Ingelheimerin, besuchte hier zunächst die Volksschule und Realschule, später die Höhere Mädchenschule in Mainz. Sie arbeitete vor ihrer Heirat im „Nassauer Hof“ in Karlsruhe, einem jüdischen Hotel. Seine Eltern heirateten 1924. Sie übernahmen den Betrieb der Großeltern mütterlicherseits und bauten Wein, Gemüse und Obst in Ingelheim an. Am 24. Mai 1927 wurde Günter Loeb als einziges Kind seiner Eltern in Ober-Ingelheim geboren. Er wohnte mit seinen Eltern Ernst und Erna und seiner Oma Emilie in der Bahnhofsstraße in Ingelheim. Günter besuchte zunächst die Volksschule in Ingelheim,nach dem Schulverbot der Nazis dann die Jüdische Bezirksschule in Mainz und die Berufsfachschule der jüdischen Kultusvereinigung in Frankfurt.Dort begann er eine Ausbildung als Schlosser. 1937, als Günter 10 Jahre alt war wurde ihr Haus in der Bahnhofstraße von der Familie Weidenbach gekauft und Familie Loeb zog mit der Oma in den Oberen Zwerchweg 24 um. Im gleichen Jahr beantragte Günters Vater eine Ausreisegenehmigung in die USA. Er hatte die Wartenummer 30 005 der Visumsantragsteller. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörten Schlägertrupp Loebs Wohnung. Günter war zu der Zeit elf Jahre alt. Auch die Synagoge in Ingelheim, die Synagoge in Mainz und die Jüdische Bezirksschule im Nebengebäude der Synagoge in Mainz, die Günter zu der Zeit besuchte, wurden in der Pogromnacht zerstört. Sein Schulleiter Eugen Mannheimer nahm sich an diesem Tag das Leben. Am 30. September 1942 wurden Günter, sein Vater, seine Mutter und seine Oma von Darmstadt aus in den Osten verschleppt, vermutlich nach Treblinka. Treblinka war ein Vernichtungslager der Nationalsozialisten, in dem die verschleppten Menschen grausam vergast wurden. Am 20. September 1943 wurden diese vier Menschen für tot erklärt. Die einzige Überlebende der Familie, Günters Tante, erinnerte nach dem Krieg auf einer Gedenktafel auf dem jüdischen Friedhof in Ingelheim an ihre Familie: Günter war zum Zeitpunkt des Mordes 15 Jahre alt, sein Vater 52, seine Mutter 38. Dieser Text wurde von Schülerinnen und Schülern der Albert-Schweitzer-Schule Ingelheim unter Anleitung von Frau Lilli Nonte verfasst und am 9. November 2011 an der Stele am Synagogenplatz vorgetragen: |